Monitor [treu stets an deiner Seite, usw.]
Performance

Januar 2023
Akademie der bildenden Künste Wien 
Mit Beiträgen von Angela Braun und Alfonso Ibanez 

Die Performance wurde im Rahmen der Jahresausstellung 2023 der Akademie der Bildenden Künste Wien präsentiert. Im Zentrum der Arbeit stand der Theatermonitor und seine Verwendung. Dabei wurde der Fehler als Voraussetzung für theatrale Präsentation angenommen und auf seine Potenziale und Möglichkeiten hin überprüft. Neben verschiedenen Texten, die die Verhältnisse und Abhängigkeiten zwischen dirigierender und singender Instanz untersuchten, wurde mithilfe eines kurzen Videoloops des Dirigenten Arthur Nikisch und zwei voneinander unabhängig laufenden Soundspuren [Gesang und Klavierbegleitung] ein musikalischer *Fehler* hergestellt. Der Titel der Performance stammt aus dem Libretto der Oper Médée von Luigi Cherubini. In der Arie Solo un pianto con te versare schwört Néris ihrer Freundin Medea ewige Treue - ein Motiv, das gut mit dem Verhältnis zwischen einer singenden und einer dirigierenden Person in Verbindung gebracht werden kann. 

In Momenten in denen die Performance nicht gezeigt wurde, lief das Video mit den beiden Soundspuren kontinuierlich weiter. Die ausgestellte Installation wurde also in regelmäßigen Abständen durch die Performance ergänzt.

VIDEO


TEXT

Hallo und Herzlich Willkommen in dem Atelierraum der Bühnenbild-Klasse zu der Performance *Monitor [treu stets an deiner Seite, usw.]* Schön, dass Sie da sind. Mein Name ist Emil Borgeest.
Die Aufnahme, die gleich auf diesem Bildschirm zu sehen ist und die sich ab dann alle 21 Sekunden wiederholen wird, zeigt den Dirigenten Arthur Nikisch im Jahr 1913 beim dirigieren. Arthur Nikisch wird - auch heute noch, viele Jahre nach seinem Tod - von einigen als „Erfinder des modernen Dirigats“ bezeichnet. Die Aufnahme ist ein Stummfilm und gilt als die einzig verbliebene, bewegt-visuelle Aufzeichnung des Dirigenten. Durch die Abwesenheit einer Tonspur, wird die Aufmerksamkeit der betrachtenden Personen nicht wie (vielleicht) gewohnt auf die Gestaltung der Musik [also die Einflussnahme auf die Herstellung von Musik mithilfe von Bewegung] sondern vor allem auf die Gestaltung der Bewegung gerichtet. Es scheint nicht darum zu gehen, was er dirigiert [das bleibt wohl für immer ungewiss] sondern wie er dirigiert. Die disziplinierten und eleganten Bewegungen die Arthur Nikisch in der kurzen Aufnahme demonstriert, finden vor allem auf der Höhe seines Kopfes statt. Ergebnis und auch Ziel dieser Dirigier-Technik war - so erzählt man sich - dass die anwesenden Musiker*innen ihm dadurch beim Folgen seiner Bewegungen auch automatisch in die Augen sahen bzw. sahen mussten. Was Arthur Nikisch bei den Dreharbeiten aber mit Sicherheit nicht hätte wissen können ist, dass schon bald eine digitale Version des gefilmten Dirigats ihren Einzug in viele Theaterhäuser finden sollte. Vielleicht sind es etwas zu große Worte, mit denen ich den ersten Teil dieser kurzen Erzählung abschließen möchte, aber ich denke, man kann sagen, dass Arthur Nikisch mit seiner 21 sekundenlangen Stummfilm-Aufnahme [wenn auch unbewusst] den Beginn einer neuen Ära markierte. 

video loop auf Monitor starten

Der Monitor ist in der Musiktheaterpraxis mittlerweile ein gängiges technisches Hilfsmittel. Die dirigierende Person, häufig die Musiker*innen vom Orchestergraben aus dirigierend, wird durch eine vor ihr platzierten Kamera gefilmt. Ein aus Pixel bestehendes Abbild dieser Person erscheint dann in Form eines flackernden und bewegten schwarzweiß Bildes auf einem [oder mehreren] entfernt stehenden Monitor, einem ca. 40 x 40 cm großen Bildschirm, der häufig an den inneren Rändern des Bühnenportals und im Zuschauendenraum platziert ist. Durch diese Übertragung haben die Personen auf der Bühne [im Musiktheater sind es häufig Sänger*innen] die Möglichkeit, den Anweisungen des Dirigenten / der Dirigentin zu folgen, ohne ihn bzw. sie direkt ansehen zu müssen. So können die Sänger*innen beispielsweise ihren Blick über die dirigierende Person hinweg richten und sich einen weiten Horizont vorstellen, der sich vor ihnen öffnet und in den sie hinein singen. Einen Horizont, dessen Ausmaß die Architektur des Theaterbaus bei weitem zu überwinden vermag. Und das alles nur, weil den Sänger*innen am Ende des Raumes eine kleine Person in einem kleinen Bildschirm gegenübersteht, sie mit eleganten und disziplinierten Bewegungen empfängt und ihnen dadurch ein Gefühl von Sicherheit gibt. 

Monitor nach hinten tragen

Die Anweisungen der dirigierenden Person müssen, bevor sie bei der singenden bzw. dem Monitorbild folgenden Person ankommen, einen weiten Weg zurücklegen. Einen Weg, der von dem Körper des Dirigenten * der Dirigentin aus hinein in die Tiefen der Kameralinse führt, sich dann in Form eines digitalen Signals durch die weiten Wege der Kabelleitungen windet, um dann in sichtbarer und bewegter Form auf dem Monitor zu erscheinen. Dieses Bild führt dann, von der Oberfläche des Bildschirms ausgehend, seine Reise in Richtung des Sängers / der Sängerin fort. Dort angekommen, wird die übertragene Anweisung der dirigierenden Person von einem visuellen Ereignis in ein |dem Körper innewohnendes] neuronales Signal verwandelt, um dann eine Veränderung in Stimme und Ausdruck zu erwirken. Kurz danach macht sich die Veränderung (mittlerweile eine auditive Information in Form von Gesang) auf den Weg in Richtung Zuschauendenraum um dort - in die Körper der Anwesenden eindringend - ihren Zweck zu erfüllen: eine sinnliche Zustandsveränderung. Ergebnis kann dann zum Beispiel das Gefühl von Traurigkeit sein. Oder das Gefühl von Glück. Dass sich diese Erklärung in keiner weise auf eine technische und biologische Richtigkeit dieser Vorgänge beruft, sondern sich vor allem durch ihre Unvollständigkeit auszeichnet, ist wichtig zu betonen. 

Gesang anmachen [leise]

So wie die Sängerin über den Kopf der dirigierenden Person hinwegsieht und sich einen weiten Horizont vorstellt, sehen auch die anderen Anwesenden - also auch *wir*, die Zuschauenden - beim Erleben des Dargestellten über ein Fehlerpotenzial hinweg. Denn durch den eben beschriebenen Umweg, den das Dirigat bei der Verwendung eines Theatermonitors gezwungenermaßen nimmt, entsteht eine Verzögerung. Man kann sagen, dass diese zeitliche Verzögerung so gering ist, dass sie kaum oder sogar gar nicht messbar und demnach für alle Anwesenden nicht erfahrbar zu sein scheint. Doch wenn wir die fehlende Beweisbarkeit dieses Gedanken einmal ausser Acht lassen, sehen wir uns mit einem Phänomen konfrontiert. Es kann darauf hingewiesen werden, dass eine zeitliche und dadurch musikalische Verschiebung den Raum erfüllt, die die Ordnung der Musik [bzw. die Ordnungsvorgabe einer Partitur] durcheinander bringt. Die Verzögerung schafft einen Zwischenraum, der von der Verzögerung selbst für eine Neuordnung der vorgegebenen Struktur genutzt wird. Ohne dass die Anwesenden Einfluss auf diesen Vorgang hätten, arbeitet die Verzögerung also auf eine feine und zufällig wirkende Art an ihrer eigenen Komposition. Eine Komposition, die im Falle einer mess- und erfahrbaren Verzögerung eventuell von manchen Personen als „fehlerhaft“, „schief“ oder sogar „falsch“ beschrieben bzw. empfunden werden würde, da sie nicht der vorgeschriebenen Gleichzeitigkeit von Tönen und Metrum entspräche. Bleibt diese Verschiebung so gering, dass sie kaum zu erkennen aber weiterhin existent ist, wäre ein „Fehler“ vorhanden, dessen Dasein niemand zu ändern versuchen würde. In einem solchen Fall wäre der „Fehler“ ein ungewollter aber trotzdem anwesender Gast der Vorführung. Er würde sich ganz unsichtbar auf einen der freien Plätze setzen, um von dort [heimlich und sanft] das Geschehen zu beeinflussen. Erst durch seine Anwesenheit kann also Neues [und dadurch vielleicht ungeahnt Schönes] entstehen. Die Illusion wird erfahrbar, weil die anwesenden Personen [trotz aller vorhandenen Realitätsverschiebungen und „Fehler“] ganz fest an diese Illusion glauben. Man könnte sagen, dass in dem Wissen, dass es einen Fehler geben kann und dem großen *trotzdem* das darauf folgt, so etwas wie das Träumen beginnt. 
Licht ausmachen

bei Klavier-Box [auswendig]

Niemand weiß, an welchem Ort Arthur Nikisch jetzt ist. Er könnte zu Stein geworden sein und sich im Laufe der Zeit in Erdöl verwandeln, das dann in einer fernen Zukunft die Maschinen des Theaters am Laufen hält. Oder er befindet sich - immer noch seinen Dirgierstab durch die Lüfte führend - in den unerklärlichen Weiten des Alls und die Aufnahme vor uns, ist eine verzögerte Übertragung seines Tuns. 

Erst Klavierstimme dann in starker Verzögerung Gesang abspielen