prospects [ENDE IN SICHT]
Performance
Januar 2025
Akademie der bildenden Künste Wien
von und mit
Susa Blaufuß, Ella Steinbach [Malerei]
Nora Strömer [Textbeitrag]
Jakob Steinmann [Drehleiher]
Studierende der Klasse für Bühnengestaltung
Luki Stüwe [Fotos]
Gefördert durch das Förderstipdendium der Akademie der bildenden Künste, Wien
Bühnenprospekte sind großformatige Malereien, die vor allem in Theatern eine Verwendung finden. Ihre Motive ergänzen häufig die geschlossene Architektur eines Bühnenraums mit dem Abbild einer natürlichen Umgebung bzw. eines Horizonts. Anhand dieses Widerspruchs untersucht die Performance das Verhältnis von Imagination und Wirklichkeit in theatralen Räumen. Ein melancholisches Spektakel, das die Beziehung des erzählten [Außen-]Raums zu dem existierenden Bühnenraum erforscht. Wie lässt sich von einer Welt erzählen, die zu groß ist als dass sie sich darstellen lässt? Was wird gesehen und was wird imaginiert?
prospects [ENDE IN SICHT] ist eine Kooperation zwischen der Malerin Susa Blaufuß, der Theaterschaffenden Nora Strömer und mir. Die Arbeit bildet den dritten Teil meiner Performance-Reihe an der Akademie der bildenden Künste, in der ich nacheinander einzelne Theatermittel zum Zentrum des performativen Geschehens erkläre und ihre [vielleicht] ungeahnten Potenziale untersuche.
TRAILER
TEXT
Hallo! Herzlich Willkommen. Mein Name ist Emil Borgeest. Schön, dass Sie da sind.
Wir - das sind Sie und ich - befinden uns auf der Galerie des Semperdepots. Dieses Gebäude wurde ursprünglich für die Herstellung und Lagerung von Theaterkulissen errichtet. In diesem und in den angrenzenden Räumen wurden die einzelnen Bestandteile eines Bühnenbilds fertig gestellt. Danach fuhr man sie in ein nahegelegenes Theater dieser Stadt. Dort angekommen, wies man den einzelnen Kulissen auf der sonst kargen Bühne ihren angedachten Platz zu damit sie dann - in ihrer zusammengebauten Form - ein vollendetes Bühnenbild ergeben. Für die Dauer einer Aufführung stand also in dem Theaterraum eine Welt aus bearbeitetem Material, die das erzählte, was erzählt werden sollte. Nach dem Applaus bauten die Angestellten des großen Theaters das Bühnenbild wieder auseinander um es hier - in einer anderen und platzsparenden Anordnung - bis zu seiner nächsten Verwendung oder endgültigen Vernichtung lagern zu können. Ein Ablauf, der sich für viele Jahre wiederholen sollte. Irgendwann, nach einer langen Zeit des Leerstandes - man hatte in der Zwischenzeit wohl einen neuen Ort für die Herstellung und Lagerung der Theaterkulissen gefunden - zogen Kunststudierende in das Gebäude ein und machten diesen Ort zu dem, der er heute ist. Man entschied sich, einmal im Jahr die Tore dieses Hauses für die Bewohner*innen der Stadt zu öffnen um ihnen zu zeigen, was hier in der Zwischenzeit entstanden ist. So auch dieses Jahr. Ich begrüße Sie also herzlich zu der Performance prospects [ENDE IN SICHT] im Rahmen des Rundgangs 2025. Ich freue mich sehr, dass Sie gekommen sind.
Prospekte sind großformatige Malereien die vor allem in Theatern eine Verwendung finden. Ihre Motive führen entweder den erzählten [Bühnen-]Raum in starker perspektivischer Verzerrung weiter oder sie ergänzen ihn durch das gemalte Abbild einer natürlichen Umgebung bzw. eines Horizonts. Man erzählt sich, dass dieser Raum der sich als einziger in dem Gebäude über zwei Stockwerke erstreckt, für die Herstellung dieser großen Malereien bestimmt war. Das obere Geschoss, dessen Ende durch ein eisernes Geländer markiert ist, bot die Möglichkeit, auf die darunter liegende Malerei zu blicken. Nach wiederholter Betrachtung und mehreren Anpassungen entschied man sich irgendwann, die Arbeit an der Malerei zu beenden. Man rollte sie ein um sie dann transportieren und auf den Bühnen dieser Stadt installieren zu können.
Musik *guilty as charged*
Mit der Verwendung eines Prospekts findet das Abbild eines Außens seinen Einzug in das Theater. So hängt eine mit Farbe bemalte Leinwand am Ende einer Bühne, dessen Dimensionen häufig durch hohe fensterlose Mauern definiert sind, während ihr Motiv auf einen Ort verweist, der nur außerhalb dieser Mauern existieren kann. Diese Mauern die in einer entfernten Vergangenheit errichtet wurden, scheinen also das auszuschließen was dargestellt werden soll: Der Blick in eine endlos wirkende Weite. Eine Weite, in die wir - zum Beispiel bei einem Spaziergang auf einem nahegelegenen Hügel - so lange schauen, bis wir den Gedanken losgeworden sind, den wir loswerden wollten oder bis uns die dunklen Wolken am Horizont daran erinnern, dass es an der Zeit ist, den weiten Weg anzutreten - zurück in eine Wohnung, die wir unser Zuhause nennen. Dank des erfinderischen Geistes einer oder mehrerer Personen, die sich vor vielen Jahren die Frage gestellt haben, wie die endlos wirkende Welt die uns und das Theater umgibt im Inneren eines Theaterbaus dargestellt werden kann, blicken wir also - nun gelöst von den Abhängigkeiten von der uns umgebenden Natur - auf das Abbild einer Welt, das - anders als sein Vorbild - unbewegt bleibt. Während also der Bühnenprospekt bis zu seiner letzten Verwendung an das festgelegte und unveränderbare Abbild einer Welt gebunden zu sein scheint, bleibt uns - als die Personen die eine solche Malerei nutzen wollen - zunächst nur der Austausch des Bildes um eine Veränderung des Motivs zu bewirken.
Neben dem Bühnenraum und dem darin platzierten Bühnenbild führt der imaginierte Raum eine weitere und dritte Größe in das Geschehen ein. Ein dritter Raum, der den Anwesenden die Möglichkeit gibt, unauflösbare Differenzen verhandeln zu können. So wird die Malerei von den Anwesenden als eine solche erkannt aber trotzdem als etwas Anderes angenommen - nämlich als ein Ort, an dem das stattfinden kann, was stattfinden soll. Die Illusion entsteht also nicht, weil uns der Prospekt täuscht, sondern weil wir ihm mit unserer eigenen Imagination und dem Prozess der Vervollständigung begegnen. Der Bühnenprospekt ist also ein Abbild der Welt und gleichzeitig die Aufforderung eine Welt zu imaginieren. Die Grenzen zwischen dem vorhandenen, dem dargestellten und dem imaginierten Raum scheinen zu verschwimmen. Aus erlebter Illusion entsteht erlebte [und dadurch neue] Realität. Nur so - durch den Wunsch nach Täuschung bzw. den Drang eine alternative Gegenwart imaginieren zu wollen - entsteht eine Welt, die größer ist als die tatsächliche Dimension der Malerei. Ein Ort, dessen Umfang so groß ist dass er sogar die hohen Mauern eines Theaters zu durchdringen vermag. Wenn dann - in einem zweiten Schritt - eine Person die Bühne betritt und sich vor einem Prospekt platziert, wird sie als Teil der imaginierten Welt angenommen. So blicken wir auf einen Körper der - wie ein Geist - zur gleichen Zeit an mehreren Orten zu sein scheint: Sicheren Schritts wandelt er zeitgleich durch den Theaterraum, das Bühnenbild und den Ort der eigenen Imagination, an dem aus einer imaginierten Gegenwart eine neue Realität erwächst.
Musik Drehleiher
Überträgt man ein kleines Bild auf ein großes – zum Beispiel malend –, dann gibt es dabei *Tricks*. Überträgt man ein großes Bild auf ein kleines – so stelle ich es mir vor – muss viel Raum zu wenig werden. Überträgt man ein *kleines* Bild, auf ein *großes*, wird was einst konkret war, zur Fläche. Ein liebendes Paar zum Beispiel zerfließt zu einer zu einer großen Fläche, deren Teile (die Liebenden) weder voneinander noch von ihrer Umwelt zu unterscheiden sind. Erst aus der Distanz ergibt sich das Bild, das wir einst kannten.“
Was genau mir die Farben bedeuten sollen - keine Ahnung ehrlich gesagt. Ich stelle mir vor, wie ich mich in ihnen verlaufe: Mit voller Wucht ins Hellblau hineinrenne, aber zu meiner großen Überraschung reißt die Fläche – das ist ja eine Leinwand – nicht; sie bleibt intakt, nur dass ich jetzt nicht mehr außerhalb des Blaus bin, sondern in ihm drin.
Im Blau laufe ich immer weiter geradeaus, weiter und weiter, bis ich eine Wölbung passiere, an der biege ich rechts ab, weiter ins Blau, dann links, ins Blau, geradeaus: blau und immer weiter, bis ich irgendwann zu einem blauen Haus komme. „Ganz schön großes Haus“, denke ich – und schon wird mir die Tür geöffnet: Von einem netten Herren mit blauem Gesicht und blauem Anzug und blauem Hut und blauen Schuhen. „Herzlich Willkommen im Theater“ sagt er. Ich setze mich in die dritte Reihe – alle Stühle sind blau, die Bühne ist blau, der Vorhang ist blau und die Scheinwerfer werfen ihr kühles, blaues Licht auf einen schimmernden, blauen Tanzboden. Auftritt Schauspielende: Alle blau; wie der Portier: Blaue Haut, blaue Haare. Sie tragen aufwändige Kostüme in den schönsten Blautönen: Eine Person ist gekleidet wie ein König: Sie trägt einen luxuriösen Mantel aus blauem Hermelin und eine schwere blaue Krone; eine andere ist gekleidet wie ein Narr; eine Person ist gekleidet, wie eine feine Dame und eine andere, wie ein armer Herr „Das blaue Theater entspricht der blauen Welt, die es umgibt“, denke ich zu mir – „oder zumindest gibt es sich alle Mühe“
„Was ist, wenn die Straße gar keine Straße ist, sondern nur die Form, die wir ihr gegeben haben?“
Die Vorstellung ist vorbei. Ich stolpere in die nun dunkelblaue Welt (es ist mittlerweile Nacht) und suche einen Platz zum Rasten. „Was“, denke ich zu mir „was ist, wenn die Nacht mich verschlingt? Wenn ich mich in eine blaue Nische bette und morgen bin ich Teil der blauen Welt, die mir heute noch so fremd war?“ Ich stelle mir vor, wie sich eine Landschaft aus der blauen Fläche herausschält, so wie sich vorhin auch das Theater aus ihr herausgeschält hat und aus dem Theater dann Zuschauendenplätze, eine Bühne, Schauspielende und ein Theaterstück, das ich nicht erinnere. Ich stelle mir vor, wie sich, während ich schlafe – wie vorgespult – Berge und Seen und Bäume und Kühe und Schweine und Esel aus dem Blau herausschälen. Sie tragen blaue Blätter und geben blaue Milch. Wie Wohnungen entstehen und Parks und Shops und Friedhöfe. Kinder gehen zur Schule, Paare streiten sich. Ich steige auf ein Fahrrad, das ich erinnere, vor einem Schwimmbad geparkt zu haben und fahre zur Arbeit, in ein blaues Büro. Nach Feierabend fahre ich mit dem Fahrrad in eine blaue Einzimmerwohnung im dritten Stock eines blauen Hauses und bin schon bald eingeschlafen. Während draußen aus der einst blauen Fläche eine immer komplexere Welt entsteht, habe ich einen Traum, den ich nicht entziffern kann:
Ich stehe am Fenster eines kahlen Raums. Aus dem Erdgeschoss höre ich die dumpfen Klänge eines Lieds längst vergangener Tage. Draußen, vor dem Fenster fallen dicke Flocken einer mir unbekannten Farbe vom Himmel. Sie sagen mir nichts. Obwohl sie groß und schwer scheinen, wiegen sie sich federleicht im Wind. Der Boden vor dem Haus ist mit einem dichten Flaum derselben Farbe belegt. In ihr sehe ich längliche Spuren, die sich vom Haus wegbewegen – dort, wo die Spuren enden, steht ein Mann, dick eingepackt in feste Stiefel, eine dicke Jacke, einen langen Schal und eine grobe Mütze. Der Mann ist von mir abgewandt, ich sehe nur seinen Rücken, nicht sein Gesicht; er ist wie in der Bewegung eingefroren, aber ich ahne, dass sein Weg nur weiter von mir wegführen wird, sobald, was auch immer ihn in Fesseln hält, sich löst. Ich verankere meinen Blick tief in ihm und hoffe, so den Lauf der Zeit anhalten zu können. Für den Bruchteil einer Sekunde habe ich die Vision, dass der Mann sich umdreht und hochguckt zum Fenster und hinter dem Fenster stünde ich, nur der Vorhang aus den dicken Flocken läge zwischen uns. Ich meine, diesen Mann zu kennen, aber ich kann ihm keinen Namen und keine Erinnerung zuordnen. Und dann gäbe es einen Moment, da träfen sich unsere Blicke und in den Augen des Mannes läge eine ganze Welt – sie wäre wie ein Versprechen. Ich will rufen: „Hallo? Wer bist du? Wie ist dein Name? Was machst du hier? Hallo? Warum bist du so weit weg? Warum bist du so weit weg? Warum bist du so weit weg?“
Beginn Musik Drehleiher
Tänzer*innen ziehen Röcke an und versammeln sich für die Parade
Zum Schluss macht Emil ein Foto von Jakob vor der Straße, dann ein Foto vom Publikum
Musik findet ein Ende